Amazonen waren in der griechischen Mythologie bewundert und verhasst zugleich: Die streitlustigen Damen hauten den männlichen Sagenhelden kräftig aufs Haupt – Homer singt davon ein treffliches Lied in seiner Ilias. Und das Schicksal der Penthesilea, die den Trojanern zu Hilfe eilt, beim Anblick des Achilles vor Liebe zergeht und dann von diesem gemetzelt wird, hat nicht nur Herrn Kleist zu großer Poesie inspiriert.
Lang ist’s her. Und vom Edelmut einer Penthesilea ist Jeff Bezos ebenso weit entfernt wie von lyrischen Aufwallungen. Mit seinem Online-Händler Amazon geriert sich Bezos aber mindestens ebenso streitlustig wie die Amazonenkönigin, allerdings fehlt es derzeit noch an einem Achill. Das mussten zuletzt die spanischen Verlage und Buchhändler erfahren, die sich just zum Weihnachtsgeschäft einer blitzartigen Attacke ausgesetzt sahen: Der neue spanische Kindle-Shop rief zum Preiskrieg auf und überließ den überraschten Konkurrenten weder Streitwagen noch sonstige wirksame Bewaffnung.
Start mit breiter Brust
Mit gleich 28.000 spanischsprachigen Titeln schlug Amazon in Spanien auf – das hört sich bescheiden an, machte den Kindle-Shop aber sofort zu einem der größten Anbieter. Das bis dahin führende E-Book-Portal Libranda, das unter anderem von den Großverlagen Planeta, Santillana und Random House Mondadori an den Start gebracht worden war, verfügt über nicht viel mehr, obwohl Titel aus 119 Verlagen darüber ausgeliefert werden. Bis Mitte des vergangenen Jahres hatten Marktbeobachter von maximal 5.000 verfügbaren spanischsprachigen E-Books gesprochen und von einem Marktanteil von weniger als einem halben Prozent. Nach Angaben des spanischen Verlegerverbands wurden in 2011 insgesamt knapp 18.000 E-Books bei der spanischen ISBN-Agentur gemeldet, und erst seit im Spätsommer der US-Anbieter Barnes & Noble in seinen dortigen Nook-Shop eine spanischsprachige Abteilung integrierte, kam Bewegung in die Szene.
Grundsätzlich ist der Kindle-Start in Spanien also durchaus ein belebendes Element, vor allem für die Verlage, die in der Vergangenheit zunehmend frustriert die Zurückhaltung des Handels und damit auch der Leser bei diesem Thema verzeichnet hatten
Grundsätzlich.
Denn Amazon bemühte sich gar nicht erst um den Anschein von Fairplay. Eine ausgewählte Reihe von E-Books wurde für zwei bis drei Euro angeboten, einzelne Titel gab es sogar noch billiger – darunter auch aktuelle Bestseller, die derzeit vor allem in gedruckter Form verkauft werden, aber durchaus auch in deutlich günstigeren E-Book-Ausgaben. Der Roman „El emblema del traidor“ von Juan Gómez-Jurado ist ein Beispiel für die aggressive Preispolitik: Trotz Preisbindung ist bei Amazon das Buch für 1,49 bis 2,68 Euro erhältlich, bei der Konkurrenz für 7,99 Euro, berichtet El País. Das ist möglich, weil der Autor bei Amazon direkt als Verkäufer auftritt, die Konkurrenz bezieht das E-Book über den Verlag und muss teurer anbieten.
Fairplay spielt keine Rolle
El País klagt, dadurch sei der spanische Buchmarkt für immer verändert worden. Gut, die große spanische Zeitung muss klagen: Sie gehört zum Prisa-Konzern, genau wie der Großverlag Santillana, dessen bereits erwähnte Verkaufsplattform Libranda jetzt kräftig gebeutelt wurde.
Aber selbst Verlage wie Ediciones B, die Ende vergangenen Jahres mit Kampfpreisen in den E-Book-Markt eingestiegen waren – die elektronischen Titel kosten im Schnitt nur 20 Prozent der gedruckten ausgaben, sehen sich an den Rand gedrückt: Auf Dauer lassen sich für einen „normalen“ Verlag, der beide Segmente bedient, solche Niedrigpreise nicht durchhalten. Beim Literaturverlag Anagrama gibt man zu bedenken, dass das Bestseller orientierte Vorgehen verheerende Folgen haben müsse: Bei millionenfachem Verkauf eines Produkts führt selbst eine minimale Marge zu ordentlichem Gewinn. Bei anspruchsvollerer Literatur, die in der Regel bei 1000 verkauften Exemplaren pro Jahr schon nicht mehr als Flop gilt, ist bei solchen Preisen ein wirtschaftliches Überleben nicht möglich.
„Cherry picking“ nennt man das Vorgehen von Amazon in bestem Wirtschafts-Amerikanisch, als „Rosinen herauspicken“ kennen wir es auf Deutsch: Einzelne Produkte werden herausgesucht und mit hohem Finanzaufwand in den Markt gedrückt – Ziel ist es, Marktanteile zu sichern und die Konkurrenz möglichst an die Wand zu spielen. Der Amazonenkönig Jeff Bezos hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er wenig Skrupel hat, wenn es darum geht, einen Markt zu erobern: In den 1990er Jahren wurden Milliardenverluste angehäuft, um das Unternehmen in den USA mit Höchstrabatten in den Buchhandel zu pushen. Möglich war das seinerzeit durch die Internet-Euphorie, durch die selbst abstruseste Ideen problemlos mit Millionen finanziert wurden.
Als die Internet-Blase platzte, hatte Amazon seine Marktposition längst konsolidiert; der unabhängige US-Buchhandel war weitgehend erledigt. Der finanzielle Aufwand, den der Konzern heute betreiben muss, um bei seiner Expansion in Europa die Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen, ist gegenüber dem Geld, das in der Gründungsphase von Amazon verbrannt wurde, „Peanuts“.
Die spanischen E-Book-Käufer freuen sich über die billigen Angebote. Das heißt aber nicht, dass die Sache damit schon positiv entschieden ist.
Bei Lebensmitteln, bei Kleidung, bei allen möglichen Dingen des Alltags, legen wir inzwischen wert auf nachhaltiges Produzieren und Wirtschaften, auf „Fair Trading“. Nachhaltiges Wirtschaften gilt aber auch für Bücher. Wollen wir in Zukunft wirklich nur noch Massenware beim Billigheimer im Internet kaufen? Denn eines ist gewiss: Dessen Preispolitik wird auf mittlere Sicht sowohl den Handel wie auch die anspruchsvolleren Verlage zerstören.
Bei Eiern und Baumwolle sind wir heute bereit, faire Preise zu zahlen. Wir sollten diese Bereitschaft auch bei Büchern haben.
10 comments
Petra says:
Mrz 21, 2012
“Trotz Preisbindung ist bei Amazon das Buch für 1,49 bis 2,68 Euro erhältlich, bei der Konkurrenz für 7,99 Euro, berichtet El País. Das ist möglich, weil der Autor bei Amazon direkt als Verkäufer auftritt, die Konkurrenz bezieht das E-Book über den Verlag und muss teurer anbieten.”
Den Satz verstehe ich nicht. Hat Spanien eine andere Preisbindung als Deutschland? Hierzulande müssen doch alle Händler (also auch der Autor) zum gleichen Preis anbieten?
Holger Ehling says:
Mrz 21, 2012
Das ist durch eine Lücke in den Bestimmungen offensichtlich möglich und so einige Autoren nehmen den kurzfristigen Windfall Profit eben mit.
Markus Stolpmann says:
Mrz 21, 2012
Sehr geehrter Herr Ehling, ich muss gestehen, dass ich nicht verstehe, warum in Ihrem Beispiel Amazon als Buhmann dargestellt wird, dem “Fair Play” egal ist. Folgt man den Links, so geht aus meiner Sicht aus dem El Pais Artikel eindeutig hervor, dass der Autor (!) als Anbieter für die günstigere E-Book-Fassung auftritt und selbst den Preis festgelegt hat. Begründung: Er hat den Preis so festgesetzt, dass er etwa einen Euro pro verkauftem Exemplar verdient (den Rest könne Amazon haben). Amazon hat mit dem Marktpreis also gar nichts zu tun, höchstens könnte man Amazon vorwerfen, die 35 bzw. 70 Prozent Ausschüttung an den Autor seien verlagsschädigend (den MwSt.-Aspekt lasse ich mal außen vor).
Es ist also beileibe nicht so, dass Amazon hier Preisdumping betreibt: Die Anbieter legen die Preise fest, auch im spanischen Kindle-Store. Wenn der Verlag des Autors sich keine Exklusivverwertung des Textes als E-Book zugesichert hat und es offenbar zumindest duldet, dass der Autor in Konkurrenz zu dem Verlag mit seinen Werken selbst als Anbieter auftritt, ist das nicht Amazon anzulasten. Im Gegenteil: Amazon hat nur die Möglichkeit dazu geschaffen und setzt eben die Preise nicht fest. Vermutlich handelt der Autor deshalb so, weil er sich über Amazon höhere Einnahmen aus E-Book-Verkäufen verspricht als über seinen Verlag. Zudem hat das auch nichts mit Preisbindung zu tun: Es handelt sich offenbar um unterschiedliche Ausgaben – schon allein daran erkennbar, dass es zwei unterschiedliche “Publisher” sind.
Warum Sie in einem solchen Szenario Jeff Bezos “Fair Play” absprechen, erschließt sich mir nicht. Vielmehr erscheint Ihr Beitrag damit – gelinde gesagt – tendenziös, wenn Sie Ihn unter Dumping und Preiskampf einordnen und versuchen, Amazon als Verursacher zu brandmarken.
Holger Ehling says:
Mrz 21, 2012
Das Argument, Amazon schaffe bloß ein Instrument und müsse für die Folgen der Nutzung keine Verantwortung tragen, halte ich nicht wirklich für treffend.
Markus Stolpmann says:
Mrz 21, 2012
Ja, Herr Ehling, der Welt würde es wesentlich besser gehen, hätte man die Erfinder von Rad und Messer gleich gesteinigt und die Erfindungen vergraben. Schließlich sterben durch diese beiden Erfindungen täglich zahllose Personen.
Holger Ehling says:
Mrz 21, 2012
Ihre Verehrung für Herrn Bezos in allen Ehren, und ich mag mich darin ja sehr täuschen – aber bis zum Beweis des Gegenteils nehme ich an, dass ein Online-Versandhaus in zivilisationshistorischer Sicht nicht ganz auf der gleichen Stufe zu sehen ist wie die Erfindung von Rad und Werkzeugen.
Markus Stolpmann says:
Mrz 21, 2012
Ja, da unterscheiden wir uns in der Sichtweise wohl deutlich. Ich halte den Aufbau einer der effektivsten, modernsten und umfassendsten Logistikstrukturen für durchaus beachtenswert und lächele immer milde, wenn man Amazon als (profanes) “Online-Versandhaus” betrachtet.
Empfehle folgende Slideshow:
http://www.slideshare.net/faberNovel/amazoncom-the-hidden-empire
Aber da unsere Ansichten offenbar deutlich differieren, sollten wir es hierbei belassen.
Holger Ehling says:
Mrz 21, 2012
In der Tat, unsere Sichtweisen sind sehr unterschiedlich. Tatsächlich belasse ich irdische Unternehmen gerne im Bereich des Profanen – das Gegenteil wäre mir denn doch verdächtig.
Zudem habe ich nichts als Bewunderung für den Mut und die handwerklichen Fähigkeiten von Herrn Bezos – seine geschäftlichen Methoden verabscheue ich allerdings.
Ralph Möllers says:
Apr 13, 2012
Nun, das Preisdumping von Amazon wird ja nun auch von der US-Regierung in den Rang einer humanitären Großtat erhoben. Zeitgleich versucht Amazon mit exorbitanten Konditionsverschlechterungen für die Verlage den Druck zu erhöhen. Amazon ist sicher ein Beispiel für eine der genialsten logistischen und marketingtechnischen Leistungen der jüngeren Geschichte, vielleicht nur noch mit FedEx zu vergleichen. Aber es ist gleichzeitig auch der klassische Fall eine “dummen Parasiten”, der seinen Wirt tötet. Allerdings kann man unterstellen, dass Amazon sich nicht wirklich für Bücher interessiert und daher nicht wirklich auf das Überleben von Verlagen angewiesen ist. Amazon ist eine perfekte “Customer Relation” Maschine ihre Antrieb sind Kundendaten, nicht Bücher. Und Marksu Stolpmann hat natürlich Recht, auf Maschinen kann man den Begriff Fair Play nicht anwenden. Also kann man natürlich schon, nützt aber nix.
Christiane says:
Jul 24, 2012
Ich persönlich denke, dass diese Art der Preispolitik auf Dauer in keiner Branche Erfolg hat. Ein Bekannter von mir arbeitet für http://www.website-zum-buch.de
und hat mir vor einiger Zeit schon genau das prognostiziert